Bei einem Treffen am 7. Dezember 2023 in Moskau
Bildrechte: Sergej Bobylew/Picture Alliance

Verbündete: Wladimir Putin mit dem verstorbenen iranischen Staatspräsidenten Ebrahim Raisi

Per Mail sharen
Artikel mit Audio-InhaltenAudiobeitrag

"Gebt mir einen neuen Globus": Russland fürchtet um "Verbündete"

Russische Propagandisten zeigen sich ernüchtert über China und Indien und rätseln über die Zukunft des Iran nach dem Tod des Präsidenten Ebrahim Raisi. Putins Spielraum werde "dramatisch" eingeschränkt: "Manchmal ist am nächsten Morgen alles anders."

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

In Moskau sind sie gerade auf allen Regierungsebenen mit einer "Aktualisierung der Weltkarte" beschäftigt, so der russische Politologe Ilja Graschtschenkow ironisch [externer Link]. Was er damit genau meint, erläuterte er mit einem alten jiddischen Witz aus Odessa: "Der Jude Rabinowitsch kommt zur Behörde, wo sie ihm sagen, er könne gehen und selbst entscheiden, wo er künftig leben wolle. Sie geben ihm einen Globus. Rabinowitsch dreht ihn lange hin und her und murmelt vor sich hin: 'Hier mögen sie keine Juden, und dort auch nicht, hier wiederum gibt es zwar welche, aber ich mag sie nicht und hier mögen sie mich nicht.' Nach einer Weile gibt er den Globus zurück und fragt: 'Ihr Lieben, habt ihr noch einen anderen Globus?"

"Clan-Umbildungen können Projekte zum Stillstand bringen"

Angesichts des durch die Sanktionen schrumpfenden russischen Wirtschaftsraums sei der Tod des iranischen Staatspräsidenten Ebrahim Raisi für Putin "vor allem aus psychologischen Gründen" dramatisch, analysiert Graschtschenkow. Immerhin gehört der Iran nach Auffassung der Moskauer Propagandisten neben Nordkorea und China zu den wenigen verbliebenen "befreundeten" Staaten: "Für die oberste politische Führung Russlands ist es heute äußerst wichtig, dass gemeinsame Projekte mit dem Iran, nicht nur im strategisch wichtigen Verteidigungsbereich, nicht eingefroren oder eingeschränkt werden."

Zwar werde es im Iran wohl kaum größere politische Veränderungen geben, ist sich der Politologe sicher: "Allerdings können die unvermeidlichen Clan-Umbildungen und die sich abzeichnende Phase politischer Unruhen, die sich über mehrere Monate hinziehen könnte, viele gemeinsame Projekte mit den Regionen der Russischen Föderation, die sich in der Umsetzung befinden oder sich gerade auf den Start vorbereiten, zum Stillstand bringen."

Sogar die staatstragende russische Nachrichtenagentur RIA Nowosti lässt einen Experten zu Wort kommen, der innenpolitische Spannungen im Iran erwartet. Das Regime werde erst mal mit sich selbst beschäftigt sein. Eine "Destabilisierung" zu vermeiden, werde angesichts der aufgeheizten Stimmung nicht einfach werden. Die russische Iran-Kennerin Julia Jusik wagte die Prognose, die fünfzig Tage bis zur Wahl des nächsten iranischen Präsidenten würden die "letzten glücklichen Monate" für die Zusammenarbeit zwischen Teheran und Moskau werden. Zwangsläufig werde Raisis Nachfolger andere politische Schwerpunkte setzen.

"Risse bis zum Fundament"

Der russische Exil-Politologe Wladimir Pastuchow, der einen Lehrauftrag in London hat, schrieb lakonisch, manchmal habe sich die Welt am nächsten Morgen eben völlig verändert. Allerdings dürfe der Tod von Raisi "nicht überbewertet" werden, was die politischen Folgen angehe.

Der bei einem Hubschrauberabsturz ums Leben gekommene Staatspräsident sei keine "tragende Säule" des iranischen Regimes gewesen: "Wenn das Gebäude jedoch morsch ist, können sich Risse bis zum Fundament ausbreiten. Die Schlauen werden jedoch ihre eigenen Schlussfolgerungen ziehen: Wegducken ist zwar gefährlich, aber es ist besser, sich wegzuducken. Man weiß nie, wer, wo und wann in Russland Nebel erzeugen wird." Eine Anspielung darauf, dass der Hubschrauber von Raisi bei schwierigen Sichtverhältnissen abstürzte.

"Engster Verbündeter Russlands in sehr schwieriger Phase"

Der Tod von Raisi werde mindestens eine gewisse "Unsicherheit" auslösen, so der auch im Westen viel interviewte russische Experte Wladislaw Inosemtsew: "Es besteht kaum ein Zweifel daran, dass die kommende Wahl für den Iran äußerst bedeutsam sein wird, da sich in dem Land seit Jahrzehnten schwerwiegende Widersprüche verschärfen und die Gesellschaft die ungezügelte Tyrannei der Wächter der Islamischen Revolution satthat, die immer härter vorgehen. Offenbar tritt einer der engsten Verbündeten Russlands dieser Tage in eine sehr schwierige Phase seiner Geschichte ein."

Die "besten Freunde" des russischen Oberbefehlshabers, also Putins, würden laufend sterben, spottete ein russischer Leser: "Was für eine Schande!" Viele zweifelten daran, dass der Hubschrauberabsturz wetterbedingt war: "[Der nordkoreanische Diktator] Kim Jong-un fährt in einem wunderschönen gepanzerten Zug und kümmert sich um nichts!!! Kein Regen, kein Nebel, kein Eis!" Auch eine vielsagende Anekdote wurde bemüht: "Stalin sagte in einem Gespräch mit Churchill mal: 'Das alles gehört der Vergangenheit an, und die Vergangenheit gehört Gott!' Aber was aus Raisi wurde, kann man trotzdem mit Sicherheit sagen – eine Leiche."

Kreml-Propagandist: "Westen wird Erfolg haben"

Tief verunsichert sind Putins Propagandisten auch über China und Indien, zwei große Nationen, die der Kreml gern für die eigenen weltpolitischen Ziele gewinnen würde. Doch China hält sich in jede Richtung alles offen, wie nicht nur Politberater Wadim Samudurow einräumte: "Es muss zugegeben werden, dass die 'verbesserte Chemie' in den Beziehungen zu China in der Praxis noch nicht sonderlich wirksam wurde und Russland sich mit verschiedenen rituellen Aussagen und Gesten begnügen muss."

Indien kündigte an, an der Ukraine-Konferenz in der Schweiz teilzunehmen, wo Russland nicht eingeladen ist. Der russische TV-Kommentator und Politologe Sergej Markow zeigte sich darüber nicht wenig erbost: "Das ist offen gesagt ein unfreundlicher Schritt Indiens sowohl gegenüber Russland als auch gegenüber China. Indien ist bisher das einzige Land im globalen Süden, das an dieser 'Kriegskonferenz' teilnimmt. Nachdem der Westen Indien überzeugt hat, wird er in der Lage sein, mehrere Dutzend andere Länder des globalen Südens zu überzeugen. Und damit Erfolg haben."

"Unangenehme Nachrichten für Moskau"

Der kremlkritische russische Politologe Andrej Nikulin stößt ins selbe Horn, was Indiens Rolle betrifft [externer Link]: "Unangenehme Nachrichten für Moskau. Schon allein deshalb, weil die Position Russlands, das sich als eine Art Vertreter und Anwalt des 'globalen Südens' bezeichnet, untergraben wird. Darüber hinaus könnte die Präsenz Indiens eine Reihe zögerlicherer Länder zur Teilnahme ermutigen. Allerdings werden sich im verbleibenden Monat [bis zur Konferenz] die verdeckten und offenen Manöver beider Koalitionen – der westlichen, die die Konferenz organisiert, und der pro-russischen, die versucht, sie zu torpedieren – nur noch verstärken."

Der kremlnahe Politikwissenschaftler Dmitri Swerjukow kritisierte den russischen Außenminister Lawrow, der behauptet hatte, Russland werde "mindestens noch eine Generation" mit Europa verfeindet bleiben [externer Link]. Solche Langzeitprognosen über 20 oder 30 Jahre seien widersinnig, da seien selbst die "Fünfjahrespläne" in der Sowjetunion besser gewesen: "Wenn wir einen ehrgeizigen Plan zur Umstrukturierung der Weltarchitektur nach den Prinzipien der Gerechtigkeit und Multipolarität umsetzen wollen, dann muss das entweder schnell geschehen, ohne dass unsere Gegner zur Besinnung kommen und ihre Kräfte sammeln können, oder gar nicht. Ein Zeitraum von zwanzig Jahren und mehr für ein solches Umbauprojekt ist in der heutigen, sich schnell verändernden Zeit zu lang, weil damit erhebliche Risiken verbunden sind."

"Wir landen in großer Sackgasse"

Ziemlich ernüchtert ist auch Dmitri Drise, der Kolumnist des liberalen russischen Wirtschaftsblatts "Kommersant". Er verweist auf Chinas Flexibilität und bilanziert: "In dieser Hinsicht scheint es, dass wir in einer großen Sackgasse landen und der Zustand der Unsicherheit anhalten wird. Eine multipolare Welt ohne Amerika ist noch nicht im Entstehen. Und das wird sich natürlich auf die Situation in der Russischen Föderation auswirken. Für die neue (bzw. erneuerte) russische Regierung wird es nicht einfach sein. Allerdings können sich die Dinge noch ändern. Die Frage ist nur, in welche Richtung."

Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.

Verpassen war gestern, der BR Kultur-Newsletter ist heute: Einmal die Woche mit Kultur-Sendungen und -Podcasts, aktuellen Debatten und großen Kulturdokumentationen. Hier geht's zur Anmeldung!